Podotrochlose (Hufrollenentzündung) beim Westernpferd: Ursachen, Diagnose und Behandlungsansätze

Podotrochlose (Hufrollenentzündung) beim Westernpferd: Ursachen, Diagnose und Behandlungsansätze

Die Podotrochlose, im Reiteralltag oft als Hufrollenentzündung bezeichnet, stellt eine der häufigsten Lahmheitsursachen bei Westernpferden dar [1]. Für Westernreiter ist das Verständnis dieser komplexen Erkrankung von großer Bedeutung, da die spezifischen Anforderungen der Westernreitdisziplinen die betroffenen anatomischen Strukturen besonders belasten können [2]. Dieser Beitrag beleuchtet das Krankheitsbild umfassend und geht auf die Aspekte ein, die speziell für Westernreiterinnen und -reiter relevant sind.

Anatomische Grundlagen

Um die Podotrochlose zu verstehen, müssen wir zunächst einen Blick auf die betroffenen Strukturen werfen. Der Hufrollenkomplex (Podotrochlea-Apparat) besteht aus:

  • Strahlbein (Os sesamoideum distale): Ein kleiner, flacher Knochen, der zwischen dem Hufbein und dem Kronbein liegt
  • Strahlbeinbänder: Halten das Strahlbein in Position
  • Tiefe Beugesehne: Verläuft über die Gleitfläche des Strahlbeins und setzt am Hufbein an
  • Bursa podotrochlearis: Ein Schleimbeutel zwischen Strahlbein und tiefer Beugesehne, der als Gleitschicht dient

Bei Westernpferden, insbesondere jenen, die in Disziplinen wie Reining und Cutting eingesetzt werden, ist dieser Komplex hohen Belastungen ausgesetzt. Die abrupten Stopps, schnellen Wendungen und die häufige Gewichtsverlagerung auf die Vorhand führen zu einer intensiven Beanspruchung dieser Strukturen.

Definition und Pathophysiologie

Die Podotrochlose ist keine einzelne Erkrankung, sondern ein Syndrom, das verschiedene pathologische Veränderungen des Hufrollenkomplexes umfasst. Der aktuelle wissenschaftliche Konsens spricht daher vom „Podotrochlose-Syndrom“ oder „Palmar Foot Pain“. Die Erkrankung kann folgende Strukturen betreffen:

  1. Knöcherne Veränderungen des Strahlbeins:
    • Sklerosierung (Verdichtung des Knochengewebes)
    • Zysten im Knochenmark
    • Veränderungen der Canales sesamoidales (Gefäßkanäle)
    • Randexostosen (knöcherne Ausziehungen)
  2. Schäden der Weichteilstrukturen:
    • Degeneration der tiefen Beugesehne
    • Entzündung der Bursa podotrochlearis
    • Schäden an den Strahlbeinbändern

Die Pathophysiologie ist multifaktoriell. Es wird angenommen, dass biomechanische Überbelastung, gestörte Durchblutung und genetische Prädisposition zusammenwirken [3,4]. Bei Westernpferden kommt die spezifische Trainings- und Wettkampfbelastung als zusätzlicher Faktor hinzu [5].

Prädisponierende Faktoren im Westernreitsport

Mehrere Faktoren können das Risiko für die Entwicklung einer Podotrochlose bei Westernpferden erhöhen:

1. Disziplinspezifische Belastungen

  • Sliding Stops: Die enormen Bremskräfte werden primär über die Hinterhand abgefangen, führen aber sekundär zu erhöhter Belastung der Vorhand
  • Spins: Schnelle Drehungen mit Belastungswechseln zwischen den Vordergliedmaßen
  • Rollbacks: Abrupte Richtungswechsel mit hoher Krafteinwirkung auf die Vorderhufe

2. Anatomische Prädisposition

  • Klein- und steilhufige Pferde (häufig bei Quarter Horses anzutreffen)
  • Pferde mit zurückgeschobener Zehenachse
  • Zu kurz geschnittene Trachten oder zu hohe Trachten

3. Management und Haltung

  • Unregelmäßige Hufpflege
  • Unausgewogenes Training mit plötzlichen Belastungsänderungen
  • Hartes, unelastisches Bodenmaterial in Trainingsarenen

Klinische Symptome

Die Symptome der Podotrochlose entwickeln sich typischerweise schleichend und können anfangs subtil sein:

Frühe Anzeichen:

  • Leichte intermittierende Lahmheit, besonders nach Ruhephasen
  • Verkürzte Schrittlänge
  • „Trippeln“ im Stand
  • Vermehrtes Stolpern
  • Leistungsabfall in spezifischen Manövern (z.B. schlechtere Bewertungen bei Spins oder Rollbacks)

Fortgeschrittene Symptome:

  • Deutliche, anhaltende Lahmheit (oft beidseitig)
  • Zehenspitzenfußung zur Entlastung der Trachten
  • Widersetzlichkeit bei bestimmten Übungen
  • „Vorständiges“ Stellen der Vorderbeine zur Entlastung
  • Vermehrte Wärme im Hufbereich

Westernreiter sollten besonders aufmerksam sein, wenn ihre Pferde bei der Ausführung von präzisen Manövern wie Spins plötzlich Qualitätseinbußen zeigen oder sich bei bestimmten Bewegungen verweigern, die zuvor problemlos ausgeführt wurden.

Diagnostische Verfahren

Die Diagnose der Podotrochlose erfordert einen systematischen Ansatz:

1. Klinische Untersuchung

  • Gründliche Adspektion der Gliedmaßenstellung und des Hufes
  • Palpation zur Feststellung von Druckempfindlichkeiten
  • Untersuchung mit der Hufzange zur Lokalisierung schmerzhafter Bereiche

2. Lahmheitsuntersuchung

  • Beurteilung im Schritt und Trab auf hartem und weichem Boden
  • Beurteilung an der Longe und unter dem Reiter (idealerweise in Westernausrüstung und bei disziplinspezifischen Manövern)
  • Beugeproben
  • Diagnostische Anästhesien:
    • Tiefe Palmarnervenanästhesie (TPA): Blockade der Nn. digitales palmares
    • Mittlere Palmarnervenanästhesie (MPA)
    • Hufgelenkanästhesie
    • Bursa-podotrochlearis-Anästhesie (direkte Injektion in den Schleimbeutel)

3. Bildgebende Verfahren

  • Röntgen: Standard sind mindestens vier Projektionen:
    • Lateromediale Aufnahme (90°)
    • Dorsoproximale-palmarodistale Aufnahme (Oxspring-Aufnahme)
    • Schräge Aufnahmen (ca. 45°)
    • Skyline-Aufnahme (Tangentialaufnahme)
  • Ultraschall: Zur Beurteilung der Weichteilstrukturen, insbesondere der tiefen Beugesehne
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Goldstandard in der Diagnostik des Podotrochlose-Syndroms; ermöglicht die detaillierte Darstellung aller relevanten Strukturen und frühzeitige Erkennung von Veränderungen, die im Röntgen noch nicht sichtbar sind [6,7]
  • Computertomographie (CT): Bietet detaillierte Einblicke in die knöchernen Strukturen [8]
  • Szintigraphie: Kann erhöhte Stoffwechselaktivität im Strahlbein nachweisen [9]

Für Westernpferde mit hoher Leistungsanforderung wird der frühzeitige Einsatz moderner bildgebender Verfahren wie MRT empfohlen, um subtile Veränderungen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Therapieansätze

Die Behandlung der Podotrochlose sollte individuell angepasst werden und umfasst konservative und operative Optionen:

1. Konservative Therapie

a) Orthopädischer Hufbeschlag

  • Ziel: Entlastung des Strahlbeins und der tiefen Beugesehne
  • Methoden:
    • Eiereisen mit zurückgesetztem Abrollpunkt
    • Full-Rolling-Motion-Beschläge
    • Anheben der Trachten (mit Vorsicht bei Westernpferden, da dies die Balance für bestimmte Manöver beeinflussen kann)
    • Stegeisen für mehr Stützfläche im Strahlbereich
    • Modern: Kunststoffbeschläge mit stoßdämpfenden Eigenschaften

Hinweis für Westernreiter: Die Beschlagsmodifikationen müssen sorgfältig mit den disziplinspezifischen Anforderungen abgestimmt werden.

b) Medikamentöse Therapie

  • Nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAIDs): Zur Schmerzlinderung und Entzündungshemmung (z.B. Phenylbutazon, Flunixin-Meglumin, Meloxicam)
  • Intraartikuläre Injektionen:
    • Hyaluronsäure zur Verbesserung der Gleitfähigkeit
    • Kortikosteroide zur Entzündungshemmung
    • Polysulfatierte Glykosaminoglykane (PSGAG) zur Knorpelprotektion
  • Bursa-podotrochlearis-Injektionen:
    • Technisch anspruchsvoller Eingriff unter Ultraschall- oder Röntgenkontrolle
    • Höhere Wirkstoffkonzentration direkt am Ort der Erkrankung
  • Systemische Knorpelschutzpräparate:
    • Tiludronsäure
    • Natriumhyaluronat
    • Pentosanpolysulfat

c) Regenerative Therapieansätze

  • Platelet Rich Plasma (PRP): Konzentrat aus körpereigenen Blutplättchen mit Wachstumsfaktoren [10]
  • Stammzelltherapie: Vielversprechender Ansatz bei Sehnen- und Bandläsionen [11]
  • IRAP (Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist-Protein): Nutzt körpereigene entzündungshemmende Proteine [12]

d) Stoßwellentherapie

  • Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) zur Förderung der Durchblutung und Schmerzlinderung [13,14]

Bei der Anwendung regenerativer Verfahren wie PRP, IRAP oder Stammzelltherapie ist die Studienlage derzeit uneinheitlich. Während einzelne Studien eine Verbesserung der Heilungstendenz nahelegen, fehlen belastbare Langzeitdaten zur Wirksamkeit bei chronischer Podotrochlose. Zudem ist der therapeutische Erfolg stark abhängig von Indikation, Technik und Patientenfaktoren. Diese Verfahren sollten daher individuell und in enger Rücksprache mit einem spezialisierten Tierarzt eingesetzt werden – stets im Bewusstsein, dass es sich um ergänzende Maßnahmen handelt und nicht um standardisierte Therapien.

2. Operative Therapie

a) Neurektomie der Nn. digitales palmares

  • Durchtrennung der Hufnerven zur Schmerzausschaltung
  • Wichtig für EWU-Mitglieder: Nach FEI-Regeln sind neurektomierte Pferde nicht mehr auf Turnieren startberechtigt
  • Komplikationen: Neurombildung, Verlust der Schutzfunktion des Schmerzes

b) Desmotomie des Fesselbein-Strahlbein-Hufbeinbandes

  • Ziel: Verbesserung der Durchblutung des Strahlbeins
  • Wissenschaftliche Bewertung des Effekts ist umstritten

c) Endoskopische Bursoskopie

  • Minimalinvasive Technik zur Entfernung von Verklebungen und Entzündungsgewebe in der Bursa podotrochlearis

Prognose und Management für Westernpferde

Die Prognose hängt stark vom Stadium der Erkrankung und dem angestrebten Einsatzzweck ab:

  • Frühstadium: Gute Prognose bei konsequenter Therapie und angepasstem Training
  • Fortgeschrittenes Stadium: Vorsichtige bis ungünstige Prognose für Hochleistungssport

Für Westernpferde kann folgendes Management sinnvoll sein:

1. Trainingsanpassung

  • Anpassung des Trainings  in Akutphasen
  • Gezieltes Aufbautraining nach Behandlungsphasen

2. Hufpflege und Beschlag

  • Regelmäßige (alle 6-8 Wochen) fachgerechte Hufbearbeitung
  • Individuell angepasster Beschlag unter Berücksichtigung der Westernreitdisziplin
  • Ggf. Verwendung von stoßdämpfenden Einlagen

3. Ergänzende Maßnahmen

  • Physiotherapie und kontrollierte Bewegungstherapie
  • Akupunktur als ergänzende Schmerztherapie
  • Angepasste Fütterung mit entzündungshemmenden Zusätzen (z.B. Omega-3-Fettsäuren)

4. Langzeitmanagement

  • Regelmäßige Kontrolluntersuchungen (klinisch und bildgebend)
  • Frühzeitige Intervention bei Verschlechterung der Symptome
  • Dokumentation der Leistungsentwicklung in spezifischen Manövern

Prävention: Besondere Aspekte für Westernreiter

Präventive Maßnahmen sind besonders wichtig, um das Risiko einer Podotrochlose bei Westernpferden zu minimieren:

  1. Bodenqualität: Investieren Sie in qualitativ hochwertige Reitböden, die Stoßdämpfung bieten, aber dennoch ausreichend Halt für Westernmanöver gewährleisten
  2. Trainingsgestaltung:
    • Sorgfältiges Aufwärmen vor intensiven Manövern
    • Progressive Steigerung der Trainingsintensität
    • Angemessene Erholungsphasen
    • Abwechslung im Training (nicht nur Manöverarbeit)
  3. Pferdewahl und -zucht:
    • Vermeidung der Zucht mit Pferden, die eine nachgewiesene Podotrochlose haben
    • Bei der Auswahl von Sportpferden auf korrekte Gliedmaßenstellung achten
  4. Frühdiagnostik:
    • Regelmäßige tierärztliche Kontrollen
    • Frühzeitige bildgebende Diagnostik bei Verdacht
    • Dokumentation der Hufgesundheit mittels Röntgenaufnahmen als Referenz

Die Podotrochlose stellt eine erhebliche Herausforderung für Westernreiter dar, insbesondere in leistungsorientierten Disziplinen. Eine frühzeitige Erkennung, umfassende Diagnostik und ein individuell angepasstes Therapiekonzept sind entscheidend für den langfristigen Erhalt der Leistungsfähigkeit betroffener Pferde.
Pferdebesitzerinnen und -besitzer sollten besonders aufmerksam auf subtile Veränderungen in der Leistung achten und bei ersten Anzeichen von Lahmheit oder Leistungsabfall frühzeitig fachliche Hilfe in Anspruch nehmen. Mit verantwortungsvollem Management und moderner veterinärmedizinischer Betreuung können  Pferde trotz Podotrochlose möglicherweise weiterhin erfolgreich im Westernreitsport eingesetzt werden.

Literaturverzeichnis
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[17] Kawcak, C. E., & Barrett, M. F. (2016). Joint Disease in the Horse. (2. Auflage). Elsevier.
[18] Dyson, S. J., Murray, R., & Schramme, M. C. (2005). Lameness associated with foot pain: results of magnetic resonance imaging in 199 horses (January 2001–December 2003) and response to treatment. Equine Veterinary Journal, 37(2), 113-121.
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