Angst ist in den Emotionen eines jeden Lebewesens verankert –
das ist auch gut so, denn wer vor nichts Angst hat, lebt gefährlich.
Das Pferd als Fluchttier ist evolutionstechnisch so gestrickt, dass es immer auf hab Acht ist, um nicht als Beute zu enden. Das Wildpferdegen haben wir Menschen über Jahre weggezüchtet – wittert ein domestiziertes Hauspferd aber Angst, kommen die uralten und damals überlebenswichtigen Instinkte zum Vorschein. Bei manchen Pferden mehr, bei manchen weniger. Dafür sind verschiedene Faktoren zu beleuchten.
Um ängstliches Verhalten besser verstehen zu können, sollten wir uns zuallererst damit beschäftigen, wie Angst und der oft daraus resultierende Fluchtgedanke entsteht.
Anatomisch korrekt… Fluchttier Pferd
Schauen wir uns den Körper der Pferde einmal genau an – bereits dieser deutet auf eine Spezialisierung als Fluchttier hin. Ein meist kompakter, schlanker Körper mit langen Beinen, die von Hufen getragen werden. Das Pferd ist ein Zehengänger – bei uns Menschen die Zehenspitze. Evolutionshistorisch bedeutete das eine Verlängerung der Beine und der Schrittlänge, was das Pferd somit schneller gemacht hat.
Die temporäre Fixierung der Kniescheibe ermöglicht Pferden im Stehen zu schlafen – mit dem Hintergedanken, eine schnelle Flucht anzutreten, falls dies nötig wird.
Der Verdauungsapparat ist darauf ausgelegt, kontinuierlich kleinere Mengen an Raufutter zu sich zu nehmen. Das rührt daher, dass im Falle einer Flucht kein Verdauungsschläfchen im Wege stehen sollte.
Ein unschlagbarer Rundumblick, große, bewegliche Ohren und ein guter Geruchssinn runden das „perfekte“ Fluchttier Pferd ab.
Doch was passiert im Körper des Pferdes bei einer potentiellen Bedrohung?
Pferd & Reiter sind bei Sonnenschein gemütlich im Wald ausreiten. Plötzlich kreuzt ein harmloses Reh den Weg und so manches Reittier macht blitzschnell auf dem Absatz kehrt und rennt um sein Leben. Dabei ist es ihm völlig egal, ob es den Reiter mitnimmt oder dieser unfreiwillig bereits abgestiegen ist und nun vom „bösen“ Reh gefressen wird.
Was im Pferd passiert nennt sich „Flight, Fight or Freeze“ – bedeutet eine überlebensnotwendige Strategie, die es ihm ermöglicht hat seit Millionen Jahren zu überleben. Flüchten, Kämpfen oder Einfrieren. Kaum ein Pferd wird kämpfen, es sei denn eine Stute muss ihr Fohlen beschützen oder ein Hengst befindet sich im Rangkampf.
Der Natur des Pferdes liegt es am nächsten zu flüchten. Von allen Körperteilen verlaufen die wichtigsten Nervenbahnen über das Rückenmark ins Gehirn. Im Rückenmark sitzen die Zellen die sehr schnell auf äußere Einflüsse reagieren können. Viel schneller als eine Verbindung zum Gehirn möglich wäre. Sie lösen die Sofort-Reaktionen bei Gefahr oder Schreck aus. Ob es nur der kleine Hüpfer auf die andere Seite ist oder die wilde Flucht.
Erfahrene, abgeklärte Pferde werden eher einfrieren oder erstarren. Nehmen sie eine potentielle Gefahr wahr, werden sie möglicherweise einen kurzen Hüpfer machen, dann aber stehen bleiben und hinschauen. Sie „frieren ein“, spannen die Muskeln an, sind sehr aufmerksam. Bereit um im Ernstfall flüchten zu können.
Wir wissen nun, dass die Angst für das Pferd ein früher überlebensnotwendiger Reflex war, um nicht als Beutetier zu enden. Selbst bei unseren domestizierten Pferden, ist dieser Reflex nach wie vor vorhanden. Dass das Reh im Wald kein gefährlicher Tiger ist, wissen wir – aber die Pferde nicht.
Ist Angst rassebedingt?
Wissenschaftlich nicht bewiesen, in der Praxis oft bemerkt: Es gibt Rassen, die nervenstärker und mutiger sind als andere. Das liegt zum einen am angestrebten Zuchtziel, zum anderen an der Herkunft der Pferde. Gebirgspferde, wie Freiberger, werden in ihrer ursprünglichen Heimat dem Gebirge, wohl seltener eine kopflose Flucht antreten wie ein Araber in der weiten Wüste.
Das Zuchtziel war natürlich auch entscheidend. Wollte man ruhige, nervenstarke Arbeitspferde hervorbringen oder sollte das Pferd einfach nur schnell rennen können. Es gibt also durchaus rassebedingte Unterschiede, die dazu führen, dass manche Rassen ängstlicher agieren als andere. Es muss allerdings gesagt sein, dass Ausnahmen die Regel bestätigen. Nicht jedes Quarter Horse ist mutig – nicht jedes Vollblut ängstlich.
Zum Thema „Angst bei Pferden“ haben wir EWU B-Trainerin Leonie Mager einige Fragen gestellt. Leonie ist auf der Sky-Ranch in Bad Dürrheim beheimatet, bildet dort ihre Pferde aus, unterrichtet ihre Schüler und betreibt eine kleine Zucht.
Leonie, wie ist deine Meinung zu dieser These?
„Das Quarter Horse beispielsweise, wurde ursprünglich als Arbeitspferd für die tägliche Rancharbeit gezüchtet. Bei der Rancharbeit spielt die Nervenstärke der Pferde eine entscheidende Rolle. Darauf wurde auch in der Zucht Wert gelegt. Für andere Rassen war diese Eigenschaft nicht das entscheidende Zuchtziel. Natürlich spielen aber auch viele Faktoren eine Rolle, wie z.B. die Aufzucht und Erfahrungen der Pferde.“
Angst – ein schlechter Lehrer?
Ein Pferd, das in einer Angstsituation von seinem Reiter oder Besitzer Bestrafung oder Druck erfährt, wird höchstwahrscheinlich in Panik ausbrechen. Wenn die Angst sich zu Panik steigert, wird die Funktion des Gehirns auf lebenswichtige Funktionen beschränkt. Es schaltet sozusagen sein Gehirn aus und wird vom vegetativen Nervensystem gesteuert. Ein in Panik geratenes Pferd lässt sich schwer aufhalten oder gar beruhigen.
Wir müssen also versuchen, in einer Angstsituation weder Druck auf das Pferd auszuüben, noch selbst ängstlich zu werden. Das Pferd spürt unsere Angst und wird sich daran orientieren. Nimmt der Reiter das Reh im Gebüsch vor dem Pferd wahr, spannt er sich unbewußt an und nimmt die Zügel kürzer. Das Pferd bemerkt die Unsicherheit des Reiters und seine Angst. Erblickt es dann das Reh, kommt es höchstwahrscheinlich aufgrund der doppelten „Angstbelastung“ zur Flucht.
Leonie, hast du als Trainerin einen Tipp zum Verhalten in brenzligen Situationen?
„Wichtig ist, dem Pferd Sicherheit zu vermitteln und selbst ruhig zu bleiben. Bewährt hat sich hierbei das Pferd über eine bekannte und der Situation angepasste Übung zu beschäftigen. Damit lenkt man die Aufmerksamkeit wieder auf sich und weg von der Gefahr. Außerdem hat der Reiter eine Aufgabe, um in keine Starre zu verfallen. Beispiel für eine Übung könnte Innen-Außenstellung oder Seitengänge sein.“
Bestrafung in einer Situation der Angst, wird das Pferd mit dem Furcht einflößenden Objekt verknüpfen und sich in seiner Angst bestätigt fühlen. Besser ist es hier ruhig zu agieren, das Pferd durch eine bekannte Übung wieder aufmerksam zu machen, wenn nötig auch abzusteigen und das Pferd für jeden Schritt in die richtige Richtung zu loben. Aus Angst kann durchaus auch Mut entstehen – ein Pferd das sich traut, sich seiner Angst oder dem Objekt der Angst zu stellen und dafür Zuspruch von seinem Besitzer erhält, dessen Selbstbewusstsein wird von Mal zu Mal steigen.
Springt das Pferd also vor etwas zur Seite, sollte man im besten Fall die Flucht verhindern aber keinen Druck ausüben. Ruhe, Geduld und die Anstrengung am besagten Objekt vorbeizugehen mit Lob quittieren, sind die besten Optionen.
Ängstlicher Besitzer – Ängstliches Pferd?
Eine denkbar schlechte Kombination ist ein ängstlicher Reiter auf einem ängstlichen Pferd. Aufgrund der Unsicherheiten beider Komponenten sind Unfälle vorprogrammiert und die Abwärtsspirale beginnt. Ein ängstliches Pferd benötigt einen sicheren, ruhigen Reiter – ein ängstlicher Reiter ein ruhiges, souveränes Pferd. Mit Hilfe eines Trainers können aber auch beide lernen, ihre Angst zu überwinden. In kleinen Schritten und mit viel Geduld haben sich daraus schon tolle, mutige Teams gefunden, die zusammen ihre Ängste überwunden haben.
Leonie, würdest du die Aussage unterstreichen, dass ein ängstlicher Besitzer sein Pferd durch sein eigenes Verhalten auch ängstlich machen kann?*
„Pferde sind Herden- und Fluchttiere und wenn ein Pferd Gefahr wittert, überträgt sich das auf die anderen Pferde. Beim Arbeiten mit dem Pferd besteht die „Herde“ aus Mensch und Pferd. Oft sehen ängstliche Reiter eine vermeintliche Gefahr, woran sich ihr Pferd erschrecken könnte und werden oft unterbewusst entsprechend angespannt – ihre Körperhaltung verändert sich. Manche Pferde verunsichert das und sie fangen an, nach der „Gefahr“ zu suchen. Der Besitzer bemerkt die Unsicherheit vom Pferd und wird noch ängstlicher. Die Situation wird sich aufschaukeln. Souveräne oder oft auch unbedarfte Besitzer nehmen dieselbe Situation nicht als gefährlich wahr und kommen erst gar nicht in diese Spirale.“
Sind Bodenarbeit und Schrecktraining eine gute Übung?
Im vertrauen Umfeld an gefährlichen Situationen zu üben, ist der richtige Weg. Oft kann der Besitzer/Reiter im vertrauten Umfeld auch mehr Sicherheit ausstrahlen und selbstbewusster auftreten, als im Gelände. Schrecktraining auf dem heimischen Reitplatz hilft dem Besitzer zu erkennen, wie sein Pferd sich unter Angst verhält und wie man diese am besten auflöst.
Bei einigen Pferden hilft es sogar besser, gar nicht auf die Angst einzugehen sondern einfach ruhig und konstant zu bleiben. Andere wiederum benötigen einfach den Zuspruch ihrer Besitzer oder manchmal auch einen ruhigen Pferdekumpel, der ihnen die Angst nimmt.
Ist man als Besitzer oder Reiter nicht vertraut mit Bodenarbeit oder Schrecktraining, sollte man sich unbedingt einen Trainer dazu nehmen. Ist die Vertrauensbasis durch falsches Verhalten oder Überforderung einmal dahin, ist es schwierig diese wieder herzustellen.
Tipps an die Angstpferdebesitzer von Leonie
„Bodenarbeit und Schrecktraining im sicheren Umfeld helfen mit unerwartet gefährlichen Situationen im Gelände umzugehen. Der Besitzer lernt sein Pferd in gestellten Schrecksituationen besser kennen und einzuschätzen. Die Beziehung wird bei gemeinsam überwundenen Gefahrensituationen gestärkt. Ängstliche Besitzer sollten solche gezielten Schrecktrainings unter Aufsicht eines Trainers üben.
Wichtig ist, dass die Angstpferdebesitzer sich nicht von ihrem Pferd verunsichern lassen und auch in stressigen Situationen als souveräne Leitperson agieren.
Um souverän zu bleiben, hilft den Besitzern eine Übung mit dem Pferd um eine Struktur zu erhalten und selbst Sicherheit auszustrahlen. Sucht euch eine lösende Übung, die sich eventuell sogar in der Vergangenheit bewährt hat und baut diese ins tägliche Training mit ein. In Schrecksituationen könnt ihr auf diese Übung zurückgreifen und bleibt entspannter. Das überträgt sich auf euer Pferd.“
Danke für deine Unterstützung und die Beantwortung unserer Fragen, Leonie.
Leonie Mager Performance Horses