Jungpferde anreiten: Die ersten 90 Tage mit Markus Bächle

Die ersten 90 Tage – die Trainer sind maßgeblich daran beteiligt, den jungen Pferden einen guten Start in ihr Leben als Reitpferd zu geben. Diese Aufgabe ist mit hoher Verantwortung verbunden und manchmal unterscheiden sich auch die Ansprüche und das Machbare. Wir wollen den Mythos Anreiten lüften und möchten die Gedanken unserer Trainer zu den ersten 90 Tagen erfahren.

Heute steht uns Markus Bächle Rede und Antwort:


90 Tage oder mehr? Reichen 3 Monate?

Prinzipiell ist die Frage nicht mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten. 90 Tage sind wirklich sehr wenig Zeit, um einem rohen Pferd die Basis, sprich Schritt, Trab, Galopp etc. beizubringen. Wichtig ist dabei die Frage, welche Voraussetzungen ein Pferd erfüllt. Lernt es schnell? Hat es viel Talent? Wie lernwillig ist das Pferd? Gibt es Defizite in der Ernährung? Gibt es wachstumsbedingte Einschränkungen? All das sind Aspekte, die nicht zu vernachlässigen sind und welche die Trainingszeit verlängern oder verkürzen können. Müsste ich mich jedoch für eine Antwort entscheiden, würde ich die Frage vorerst mit einem „Nein“ beantworten, weil in einer solch kurzen Zeit vieles passieren kann, was den erhofften Plan nach hinten verschiebt. Wichtig ist, dass man erkennt, mit welchem Typ Pferd man es zu tun hat und man sich und seinem Pferd so viel Zeit gibt, wie es braucht, um ein perfektes und individuelles Ziel zu erreichen.

Wie startet ihr in die Grundausbildung mit den jungen Pferden?

Am wichtigsten ist mir dabei, dass es genug Zeit gibt, um sich kennenzulernen. Ich möchte Aktion sowie Reaktion des Pferdes einschätzen können und möchte wissen, mit was für einem Typ Pferd ich arbeite. Ist mein Pferd vom Typ her eher vorsichtig? Ist es aufgeschlossen oder eher klemmig? Nach ausgiebiger Kennenlernzeit, in der ich mit meinem Pferd ausschließlich vom Boden aus arbeite, habe ich wichtige erste Eindrücke gesammelt und konnte mir ein ungefähres Bild von dem Pferd und unserem weiteren Weg machen. In den ersten Trainingseinheiten ist es mir auch sehr wichtig, dass ausschließlich ich die Richtung und das Tempo (ähnlich der Join-Up-Methode)vorgebe und insbesondere durch meine Körpersprache deutlich mache, wie weit mein Pferd gehen darf, wann es zu mir kommen darf und wann es sich von mir wegbewegen soll.

Was gehört bei euch zur Grundausbildung dazu?

Wir sprechen dann von einer erfolgreich abgeschlossenen Grundausbildung, wenn sich das Pferd im Schritt, Trab und Galopp nachgiebig reiten und lenken lässt. Zudem kann ich die Schulter, Mittelhand und Hinterhand jederzeit kontrollieren und das Pferd ohne Gegendruck seitwärts verschieben und rückwärtsrichten.

Wie oft und wie lange arbeitet ihr junge Pferde in der Woche?

Meine festen Arbeitstage sind von Montag bis Freitag, allerdings arbeite ich ein Pferd nicht jedes Mal gleich lang. Ausschlaggebend dafür ist die Form des Pferdes und die Arbeit der vergangenen Tage. Wenn ich merke, dass mein Pferd müde wird, arbeite ich dementsprechend eher weniger, ist es aber sehr frisch drauf, wird die Arbeitseinheit etwas länger. Auch achte ich dabei genau darauf, wie lange sich mein Pferd sinnvoll konzentrieren kann und passe das Training individuell an. Die Konzentrationsspanne ist vor allem bei sehr jungen Pferden nicht zu überschätzen. Am Wochenende haben die Pferde meistens frei oder die Besitzer nutzen die trainingsfreie Zeit, um sich mit ihrem Pferd zu beschäftigen.

Reitet ihr nur selbst oder ist es wichtig, dass junge Pferde auch andere Reiter
kennenlernen?

Grundsätzlich reite ich alle Pferde selbst an, ich habe also keinen „Co-Trainer“, der mir Trainings- oder Berittpferde abnimmt. Beim richten und satteln habe ich jedoch Hilfe was es mir zeitlich einfacher macht. Mein Wunsch ist es, dass die Besitzer so früh wie möglich mit ins Training einsteigen und ihr Pferd so wie es passt mitarbeiten, um selbst Erfahrungen auf ihrem Pferd zu sammeln und ein Reitgefühl gemeinsam mit ihrem Pferd entwickeln. Die Besitzer soll letztlich nach der Anreitephase ohne Probleme zuhause klarkommen. Da ist es schon Sinnvoll wenn man weiß, wie das Projekt „Reitpferd“ entstanden ist.

Wie wichtig ist das Ausreiten in der Grundausbildung für euch und wann geht ihr frühestens mit den Jungpferden ins Gelände?

Ausreiten ist für mich ein sehr wichtiger Aspekt in der Ausbildung der Jungpferde. Wann ich mit den Pferden rausgehe, ist von Pferd zu Pferd völlig verschieden. Wenn ich ein nervenstarkes, unerschrockenes Pferd habe, mache ich die ersten Schritte direkt aus der Halle raus bereits nach 2-3 Wochen. Dabei geht es nicht weit und lange raus, sondern es geht dabei nur darum, dass mein Pferd aus der Komfortzone tritt und sein gewohntes Umfeld verlässt. Bei unsicheren Pferden , ist bei den ersten Schritte draußen,nicht selten ein ruhiges und erfahrenes Pferd dabei. So das sie als Handpferd mit Sattel das „draußen reiten“ kennenlernen.

Wie wichtig ist es, dass der Besitzer bereits in der Grundausbildung seine Ziele mit dem Pferd definiert?

Bei dem Thema hat man häufig eine geteilte Meinung mit dem Besitzer. Durch meine Erfahrung weiß ich was in der Grundausbildung realistisch machbar ist und welche Ziele definiert werden können, ohne eine zu große Erwartung zu haben und ohne das Pferd mit Erwartungen zu überfordern. Dabei ist ,glaube ich ,für beide Seiten wichtig, dass vorher einmal klargestellt wurde, dass das Pferd das Tempo vorgibt und wir ohne Druck arbeiten. Ich nehme das an, was das Pferd mir anbietet und kreiere daraus etwas. Nicht jedes Pferd durchläuft die gleiche Reihenfolge wie das Pferd davor oder wird nach 0815 durch die Basis gejagt. Wenn ein Pferd mehr Zeit braucht, versuchen wir natürlich dem Pferd diese Zeit zu geben. Im Verlauf des Trainings kommunizieren wir viel mit dem Besitzer, es kann gerne beim Training zugeschaut werden und wir versuchen uns gemeinsame realistische Ziele zu setzen.

Soll der Besitzer das Pferd vorher bereits arbeiten oder das Jungpferd lieber roh bringen?

Häufig passiert es, dass Pferdebesitzer dazu neigen die Wichtigkeit des Anreitens zu unterschätzen und ohne böse Absichten denken, dass das Jungpferdethema etwas ist, womit man leicht Geld sparen kann und was man schnell und einfach selbst in die Hand nehmen kann. Oft genug ist dies schon schief gegangen und die Pferde sind, aufgrund von Thematiken wie Steigen, fehlender Akzeptanz des Sattels oder Bocken oder schlicht weg auf fehlender Erfahrung seitens der Eigentümer zu uns gekommen. In solchen Fällen reichen dann die oben genannten „90 Tage“ nicht mehr aus. Hier muss man sich dann viel Zeit nehmen und noch einmal ganz von vorne anfangen. Ich persönlich präferiere es, wenn die Pferde in der Lage sind, sich anbinden lassen, Hufe zu geben und vielleicht schon etwas vom Boden aus gearbeitet wurden. Im Grunde gut erzogen sind ,alles weitere kreieren dann wir.

Kann der Besitzer das Jungpferd nach 90 Tagen problemlos mit Nachhause nehmen und selbst reiten?

Wie am Anfang schon erwähnt, kommt das immer auf das Pferd und die „Vorarbeit“ des Besitzers an. Die meisten Pferde lassen sich in 90 Tagen super im Schritt, Trab und Galopp reiten. Wäre das nicht der Fall , müsste man den Ausbildungsweg schon in frage stellen. Wir hatten aber auch schon Pferde, die körperlich und mental einfach noch nicht so weit waren. Diese schicken wir dann lieber noch einen Sommer auf die Weide und holen sie zu einem späteren Zeitpunkt zu uns zurück. Wenn ich merke, dass ein Pferd noch nicht so weit ist, dann wird das offen und transparent mit dem Besitzer kommuniziert und es wird auf gar keinen Fall etwas erzwungen. Bei uns steht das Wohl des Pferdes immer an erster Stelle und nicht nur das Ziel.

Vielen Dank, Markus!

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