Der Begriff Burn-out ist in aller Munde. Einst als Mode- oder Managerkrankheit abgetan, ist Burn-out heutzutage ein sehr weitverbreitetes und voll akzeptiertes Krankheitsbild in der Humanmedizin, das durch seine vielfältigen Ausprägungen eine große Herausforderung für Betroffene, Ärzte und Therapeuten darstellt.
Doch was ist ein Burn-out? Wie lässt sich dieser diffuse Symptomkomplex, von dem immer mehr Personen betroffen sind, treffend umreißen?
Ein Burn-out ist ein chronischer Erschöpfungszustand durch lang anhaltendende Überforderung der eigenen physischen und psychischen Kräfte. Dieser Zustand wird sehr oft durch starken Stress hervorgerufen und kann beim Mensch durch große Belastung, das Fehlen eines sozialen Netzes, ein Helfersyndrom, Angst und ausgeprägten Ehrgeiz bedingt sein.
Doch nicht nur der Mensch ist davon betroffen, auch manifestiert sich das Syndrom bei Pferden und zeigt sich vor allem in ihrem Ausdrucksverhalten gegenüber Artgenossen und dem Menschen. Die Ursachen sind ähnlich: Permanenter Stress durch Überforderung, falsche Haltung und Kommunikationsprobleme bringen die Seele und den Körper eines Pferdes dauerhaft aus dem Gleichgewicht.
Ein Burn-out ist keine Krankheit, die innerhalb weniger Tage ausbricht. Sie entwickelt sich über mehrere Phasen und verstärkt sich über die Länge der Zeit – bei Mensch sowie Pferd.
Ursachen
Seit über 6000 Jahren nutzen wir die Pferde in verschiedenen Bereichen. Über die Zeit hat sich viel zu Gunsten des Pferdes verändert, jedoch leben viele noch immer nicht unter optimalen Bedingungen. Durch die Domestizierung hat sich das Pferd gewiss an Mensch und Haltung angepasst, jedoch müssen seine gattungsspezifischen körperlichen, emotionalen sowie geistigen Bedürfnisse befriedigt werden, um die Gesundheit zu erhalten.
Wenn wir die Grundbedürfnisse von Pferden betrachten, wie beispielsweise den sozialen Kontakt zu anderen Pferden in einer homogenen Gruppe oder Herde, artgerechtes Futter und ausreichenden Auslauf, werden wir feststellen, dass diese in ganz vielen Fällen nicht einmal ansatzweise erfüllt sind. Bei Missachtung der natürlichen Bedürfnisse eines Pferdes ist das Burn-out-Risiko groß. So kann jedes Pferd davon betroffen sein – Freizeitpferde sowie Turnier- und Showpferde.
Durch immer intensivere Pferdeverhaltensforschung werden immer neue, nuancierte Verhaltensmuster festgestellt, die man früher nicht wahrgenommen, falsch interpretiert oder einfach nicht beachtet hat. Viele Pferde werden noch nach Methoden ausgebildet und gehalten, die nicht dem neusten Wissensstand entsprechen, womit oftmals Kommunikationsprobleme einhergehen. Diese führen gepaart mit den immer höher werdenden Ansprüchen der Halter im Freizeit- sowie im Turniersport zu extremen Belastungen bei Pferden, denen sie auf Dauer nicht gerecht werden können. Besonders bei Turnier- und Showpferden sind die Burn-out-Symptome früher oder später gut erkennbar, da immer ein starker Leistungsabfall mit dem Krankheitsbild einhergeht.
Symptome und Phasen des Burn-outs
In ihrem Buch „Burn-out kommt nicht nur vom Stress“ entwickelt Frau Dr. Mirriam Prieß ein Vier-Phasen-Modell eines Burn-outs beim Menschen. Dieses eingängige Modell lässt sich sehr gut auf das Pferd übertragen und zeigt eindrücklich den Verlauf der Erkrankung.
Die erste Burn-out-Phase, die Alarmphase, ist Ausdruck dafür, dass ein Dialog zwischen Mensch und Pferd schwieriger zu führen ist als unter seinesgleichen. Mensch und Pferd haben je eigene Kommunikationswege. Dies kann zu Störungen und Konflikten zwischen beiden führen. Oft versucht der Mensch bei gestörter Kommunikation zum Pferd, seine Ziele mittels Druck und Gewalt durchzusetzen. Dadurch entsteht für das Pferd ein hoher, oftmals anhaltender Stress-Level. Dieser Stress kann durch falsche Haltung, Überforderung bei der Arbeit und nicht-harmonischem Umgang verursacht werden.
Über die Nebennieren wird das Hormon Kortisol ausgeschüttet, welches das wichtigste Stresshormon des Fluchttiers Pferd ist. Langfristige Ausschüttung von Kortisol allerdings kann das Immunsystem des Pferdes schwächen und es anfälliger für Krankheiten machen. In der Alarmphase kann man einen erhöhten, zu lang anhaltenden Wert an Kortisol im Blutbild feststellen; das Pferd befindet sich fortwährend in Stress. Oft können erste Verhaltensauffälligkeiten beobachtet werden, mit denen das Pferd den anhaltenden Stresspegel zu kompensieren versucht. Solche Bewältigungsstrategien können starke Unruhe, Aggression, Koppen, Weben und Stereotypie sein.
Wird die Alarmphase beim Pferd nicht erkannt und behandelt, wird es nahtlos in die Widerstandsphase übergehen: Das Tier versucht sich gegen Überforderung zu wehren, mit seinem ablehnenden Verhalten etwas mitzuteilen. Der Widerstand wird am Boden sowie beim Reiten sehr direkt gezeigt. Klare Signale sind u. a. Steigen, Buckeln, Beißen, mit Angriff drohen, totale Verweigerung. Das Pferd wird solange Widerstand leisten bis es sich entweder von der Überforderung oder dem Nicht-Wohlfühlen befreien kann oder – und das ist der meist zutreffende Fall – sein Wille gebrochen wird; ein Zustand, der meistens mit Gewalt und Demütigung erreicht wird. Immerwährenden Widerstand können nur ganz wenige Pferde auf Dauer durchhalten, die meisten haben keine Kraft, diesen aufrechtzuerhalten. Sie sind schlicht und ergreifend vom Widerstand erschöpft.
Die Erschöpfungsphase ist ein ganz deutliches Zeichen einer dauerhaften, über einen längeren Zeitraum anhaltenden Überforderung. Dieser Zustand kann nicht mit einer kleinen Pause oder durch kurzes Ausspannen korrigiert werden. Oft zeigt das Pferd chronische Symptome: eine anhaltende Kraftlosigkeit, Magengeschwüre, Atembeschwerden und ständige Lahmheit, um nur einige zu nennen. Das Pferd entwickelt ein Desinteresse an seiner Umwelt und an sozialen Kontakten zu anderen Pferden und zum Menschen. Man findet keinen Zugang mehr, das Pferd zieht sich immer mehr zurück.
In der Rückzugsphase des Pferdes fallen sofort seine Teilnahmslosigkeit sowie sein apathisches Verhalten auf. Sein Ausdruck in den Augen ist nicht lebendig, seine Reaktionen sind eher zurückhaltend und energielos – als würde es am eigenen Leben nicht mehr teilnehmen. Viele Besitzer erkennen die Anzeichen jedoch nicht, sondern verwechseln diese oft mit absolutem Gehorsam. Andere Verhaltensauffälligkeiten können bis zur Selbstverletzung als Emotionsregulation oder unkontrollierten Aggressionsausbrüchen führen.
Diagnose
Die Diagnose eines Burn-outs ist nicht einfach zu stellen: Es wird oftmals nicht erkannt, was das Pferd mitteilen will. Wir neigen dazu, Verhaltensauffälligkeiten schnell und schematisch zu beurteilen, wir nehmen uns sehr wenig Zeit zu beobachten und zu hinterfragen, warum das Pferd verschiedene Symptome aufweist und was es uns damit sagen möchte. Wenn das Pferd sich in einem erschöpften Zustand zeigt, wird sehr schnell der Tierarzt verständig, Änderungen an der Fütterung vorgenommen und/oder ein Physiotherapeut gerufen.
Allerdings bleibt bei diesen singulären, nicht ganzheitlichen Behandlungsmethoden der erhoffte Erfolg im Falle eines Burn-outs aus. Auch der psychische Zustand des Pferdes muss bei der Anamnese genau beleuchtet werden. Die genaue Diagnose eines Burn-outs bedarf einer zusammenfassenden Beurteilung eines veterinärmedizinischen Befunds und typischer Gruppen von Symptomen. Erst nach gründlicher und umfassender Bewertung der Ausgangslage kann der Therapieplan individuell erstellt werden.
Therapie
Einen Burn-out beim Pferd zu therapieren, bedarf Zeit und Geduld. Die Therapierung muss interdisziplinär erfolgen und verschiedene Ansätze verfolgen. Wenn diese letztendlich ineinandergreifen, sind die Chancen, eine psychische sowie physische Balance wiederherzustellen, gut. Die Heilungszeit ist jedoch individuell verschieden und nicht vorab planbar. Die oberste Maxime der Therapie lautet Stressvermeidung.
Im Wesentlichen sollte eine ganzheitliche Therapie folgende Faktoren berücksichtigen: Haltung, Ernährung, Pflege/Betreuung durch den Mensch, Entspannungsmethoden, Bodenarbeit und eine konsequent durchgeführte Aufbauphase.
Haltung: Die artgerechte Haltung sollte man als essentiellen Bestandteil möglichst zeitig in die Therapie mit einfließen lassen. Ein artgerechtes Leben sieht im ganz ursprünglichen Sinn vor, dass ein Pferd in der Steppe bis zu 18 Stunden täglich mit Fressen beschäftigt ist. Dadurch ist das Pferd immer in einer langsamen, stetigen Bewegung. Dadurch legen Pferde bis zu 20 km zurück – und zwar täglich. Auch sind Pferde Herdentiere, für die es ein ausgeprägtes Bedürfnis ist, mit ihren Artgenossen in Sicht-, Geruchs- und Blickkontakt zu sein. Körperkontakt unter Pferden ist für den Erhalt des seelischen Gleichgewichts unbedingt zu ermöglichen. Ob Stallhaltung mit täglichem Koppelgang, eine Außenbox mit Paddock, Gruppenhaltung oder ganzjährige Weidehaltung mit Schutzhütte den perfekten Lebensraum bieten, hängt immer auch von den Präferenzen und bisherigen Erfahrungen des jeweiligen Pferdes ab und gilt es zusammen mit dem Halter zu eruieren. Das Verhalten des Pferdes wird sich relativ schnell positiv verändern, wenn die Haltung zu seinen Gunsten verbessert wird. Die Haltung stellt einen sehr wichtigen Punkt der Therapie dar, da sie die Basis für jeden weiteren Behandlungsschritt legt und Balance und Ruhe geben soll.
Ernährung: Die meisten Pferde sind heutzutage u. a. durch Monokultur auf den Weiden nicht artgerecht ernährt. Sie haben einen erhöhten Mineralstoffbedarf, und es fehlen ihnen sekundäre Pflanzenstoffe, die nur durch die Vielfalt der Kräuter in den Körper gelangen können. Sekundäre Pflanzenstoffe sind die Stoffe, die das Immunsystem stabilisieren, den Körper vor freien Radikalen schützen, die Verdauung fördern, den Stoffwechsel aktivieren, die Entgiftung verbessern und die Epithelien der Atemwege unterstützen. Grundsätzlich sollte man bei dem zu behandelnden Pferd erst eine organische Stabilisierung durchführen. Diese kann zwischen vier und sechs Wochen oder in Einzelfällen auch länger dauern. Die Optimierung der Organleistung ist sehr wichtig für das Pferd und den Therapiehergang.
Pflege/Betreuung durch den Mensch: Pferde mit Burn-out haben oft ein gestörtes Verhältnis zum Mensch. Deshalb sollte man mit Therapiebeginn versuchen, den Kontakt zum Pferd wieder behutsam aufzubauen und dadurch sein Vertrauen zu gewinnen. Stress und Frustration bei Pferd sowie Reiter bedingen sich oftmals. Der Mensch kann diesen Kreislauf durch eine liebevolle mit Lob und Ruhe durchgeführte Annäherung an das Pferd durchbrechen. Zuwendung ist eine der wichtigsten Aufgaben des Menschen. Ohne Erwartung und Druck, mit so viel Zeit wie nötig. Füttern, Putzen, Ansprache, Führen – alles sollte so durchgeführt werden, dass das Pferd keinen Stress durch den Kontakt zum Mensch bekommt. Genauso sollte auch beim Reiten auf einen stressfreien Umgang mit dem Pferd geachtet werden.
Entspannungsmethoden: Der Mensch kann die Beziehung zu seinem Pferd auch über Entspannungsmethoden fördern und vertiefen. Hier bieten sich besonders Massagen, Shiatsu, Akupressur und Tellington TTouch an. Qualitätsvolle Berührungen mit den Händen können nicht nur Verspannungen lösen und Schmerzen lindern, sondern auch Energien wieder zum Fließen bringen, Ängste und Blockaden lösen sowie Vertrauen aufbauen.
Bodenarbeit: Die verschiedenen Bodenarbeitsmethoden sind einer der wichtigsten Kommunikationswege zwischen Mensch und Pferd. Sie fördern Vertrauen und Ruhe. Spaziergänge, Clickertraining, Trail in Hand, Dualaktivierung und Spiele sind ideal, den Gemüts- und Gesundheitszustand des Pferdes zu verbessern und Bindung zwischen Tier und Mensch zu fördern.
Aufbauphase: Die Aufbauphase des Pferdes muss man sehr vorsichtig gestalten. Es ist der Versuch, das Pferd wieder in einem für sich gesunden Umfeld einzugliedern. Optimal wäre, das Pferd wieder in Harmonie mit seinem Halter und dessen Ansprüchen zu bringen. Außerdem sollte dieser die Arbeit des Therapeuten bis zum Ende begleiten und möglichst viele Aspekte im Sinne eines gemeinsamen Miteinanders mit seinem Tier umsetzen.
Im Hinblick auf das Reiten müssen unbedingt einige Checks im Vorfeld der Aufbauphase durchgeführt werden. Der Sattel, die Zäumung, der Beschlag sollten geprüft und das Pferd sollte von einem Physiotherapeuten untersucht werden, bevor man das Reiten wiederaufnimmt.
Liegen keinerlei Einschränkungen vor, sollte das Reittraining ganz langsam beginnen – gerne kann es anfänglich aus reinem Führen mit Sattel bestehen. Nach und nach kann man die Übungszeiten verlängern. Jedoch sollte alles ganz entspannt durchgeführt werden. Wenn sich das Pferd wohlfühlt, kann man sachte die Kondition aufbauen. Dafür eignet sich die Longe-Arbeit. Es sollte auch in der Aufbauphase immer wieder die vorhergehenden genannten Ansätze wie beispielweise Bodenarbeit, Entspannung und Spiel mit einfließen. Hat man ein gelassenes, fleißiges, aufmerksames Pferd an der Hand sowie auch unter dem Sattel kann man von einem Therapieerfolg sprechen.
Burn-out bei Pferden wird in der Reiterszene oft nicht wahr- oder ernst genommen. Dasselbe haben wir vor Jahren auch beim Mensch erlebt. Heute ist das Syndrom als ernstes Krankheitsbild anerkannt, welches unbedingt einer Therapie bedarf. Unseren Pferden wäre es zu wünschen, dass diese Akzeptanz auch bei ihnen eintreten würde. Die letzten Jahre sind Verhaltensforscher im Themenkomplex Bedürfnisse und Verhalten der Pferde weit gekommen, was auch auf weitere Erkenntnisse für die Burn-out-Erforschung hoffen lässt. Es wird noch viel Überzeugungsarbeit nötig sein, aber ebenso viel Mut von Besitzern und Trainern, festzustellen und zuzugeben, dass das eigene Pferd aus der Balance geraten ist und behandelt werden muss. Den Burn-out zu erkennen, ist der erste Schritt zu einem gesunden Pferd.
Weitere Informationen:
Alexandra Edinge
Pferdeverhaltenstherapeutin
info@edinge-pvt.de
www.edinge-pvt.de