Das Geraderichten des Reitpferdes – ein lebenslanger Prozess

Natürliche Schiefe: Was bedeutet das eigentlich?

Punkt fünf der Ausbildungsskala ist das Geraderichten des Pferdes. Man kann fast jeden Reiter mit der Aussage „ Dein Pferd ist aber schief.“ aus der Fassung bringen, dabei ist es natürlich, dass ein Pferd schief ist. Genauso wie die meisten Menschen einhändig sind und damit ein Leben lang gut klar kommen ohne körperliche Beschwerden zu entwickeln.

Zur Ursache gibt es viele Theorien : die Lage des Fohlens im Mutterleib soll dafür verantwortlich sein oder die Wirbelsäule sei schief usw. – genau untersucht wurde das noch nicht.

Im Körper eines Pferdes (oder auch eines Menschen) ist von Natur aus nichts gerade. Das Skelett selber ist – außer bei schweren Erkrankungen – nicht schief, sondern die Muskulatur ist auf den beiden Körperseiten unterschiedlich ausgeprägt und wirkt dadurch unterschiedlich stark auf den Knochenapparat ein.

Jedes Pferd hat von Natur aus eine „Schokoladenseite“. Es ist kann sich auf einer Seite besser dehnen und ist auf der anderen kontrahiert, es hat auf einer Seite mehr Kraft und ist besser balanciert, das eine Hinterbein kann mehr tragen als das andere.

Woran erkenne ich nach welcher Seite mein Pferd schief ist?

Ein Pferd, dass z.B. nach links schief ist, wird in der Regel besser auf der linken Hand angaloppieren, denn es kann die rechte Seite besser auf dehnen. Besonders deutlich spürt man die kontrahierte oder hohle Seite, wenn man das Pferd rückwärtsrichtet. Es wird dann zu der verkürzten Seite hin mit der Hinterhand ausweichen wollen.

Die andere Seite zu der sich das Pferd weniger gut biegen lässt, nennt man die Zwangsseite.

Es gibt Pferde, die von Natur aus sehr einhändig sind und andere, die es eben nicht sind. Manchmal ist die Muskulatur der Hinterhand oder der Schulter so unterschiedlich ausgeprägt, dass man das mit bloßem Auge erkennen kann.

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Wo spielt das eine Rolle?

Viele Reitervölker der Erde beschäftigen sich nicht mit so akademischen Problemen, wie der Natürlichen Schiefe des Pferdes. So ist es dem Gaucho in der Argentinischen Pampa herzlich egal, ob sein Pferd gerade gerichtet ist, wenn er hinter der Kuh herreitet. Auch der Mongole in der hinter seinem Vieh durch die Steppe zieht wird sich keinen Kopf darum machen, ob sein Pony auch auf beiden Körperseiten gleichmäßig gymnastiziert ist.

Für den Freizeitreiter, der 2-3 mal in der Woche einen gemütlichen Ausritt mit seinem Pferd ins Gelände macht, spielt die Schiefe eine untergeordnete Rolle. Sein Pferd wird alt werden und gesund bleiben, auch wenn es etwas einhändig ist. Denn auf gerade Linien ist die Belastung einfach nicht so groß und das Pferd wird nicht so gefordert.

Für den Sportreiter, der z.B. eine Western Riding gewinnen will, stellt ein einhändiges Pferd allerdings ein Problem dar. Denn es wird auf einer Seite schlechter Angaloppieren und auch schlechter Wechseln.

Für die gesamte Durchlässigkeit ist es wichtig, dass ein Sportpferd ziemlich gleichmäßig auf beiden Händen arbeiten kann. Ein sehr einhändiges Pferd wird sich z.B. auf einer Hand eher nach außen Stellen im Bit, oder es wird im Stop ein Hinterbein nicht unter dem Körper halten können, auch auf dem Zirkel und in Wendungen wird es nicht auf beiden Händen gleichmäßig mit beiden Hinterfüßen Last aufnehmen. Daher ist es für den Sportreiter wichtig, sein Pferd auf beiden Seiten gleichmäßig zu gymnastizieren.

Wie richtet man ein Pferd gerade?

Die alte Reiterregel sagt : „Man richtet ein Pferd gerade in dem man es biegt.“ Im Training ist man oft versucht, sein Pferd auf der „guten“ Hand mehr zu arbeiten, weil es ja da mehr Freude macht. Allerdings trainiert man ja damit genau die Muskulatur, die schon stark ist und vernachlässigt die andere.

Reiten auf engen Wendungen ist gerade für junge Pferde, deren Skelett noch nicht fertig ausgebildet ist immer sehr anstrengend. Die Gelenksflächen werden auf einer engen, gebogenen Linie ungleichmäßig belastet und das Risiko für Schäden wächst. Gerade bei den Westernpferde Rassen wirken beim jungen Pferd durch die starke Bemuskelung große Kräfte auf den Gelenksapparat ein, das muss man im Training berücksichtigen.

Daher sollte man auch junge Pferde nicht viel longieren oder sehr lange im Round Pen arbeiten. Sie an der Hand von beiden Seiten zu arbeiten, ist viel zielführender.

Bevor man also das junge Pferd viel in engen Volten arbeitet, sollte man es erst schonend an die Belastung unter dem Reiter gewöhnen, also ausreiten, geradeausreiten und die Muskulatur kräftigen.

Wenn wir ein Pferd in der Reithalle oder auf dem Platz trainieren, legt es ca. 3-4 km in einer Stunde zurück – das ist eigentlich nichts, aber diese Strecke geht es überwiegend in einer Biegung und das wiederum ist sehr anstrengend für ein Pferd. In der Natur läuft es nahezu immer geradeaus und trabt oder galoppiert nur äußerst selten auf einer engen gebogenen Linie.

Im Training beginnt man also das Pferd zunächst im Schritt, später im Trab und Galopp zu biegen. Wobei die Linien immer erst groß sein sollten und mit dem Training und der Kraft des Pferdes kleiner und enger werden dürfen.

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Biegen und Stellen sind nicht das Gleiche!

Vom ersten Tag der Ausbildung ist es wichtig, die Pferde auf beiden Seiten gleich in Kopf und Hals nachgeben zu lassen: es zu stellen. In Kopf und Hals stellen lässt sich auch ein „schiefes“ Pferd, vielleicht nicht gleich gut auf beiden Seiten, aber das ist mehr eine Frage des Gehorsams und den Verstehens als eine Frage der Einhändigkeit.

Bei der Biegung im Körper sieht das schon anders aus. Das sehr schiefe Pferd wird da mehr Probleme haben, weil es sich auf der Zwangsseite nicht außen dehnen kann und weil es nicht mit beiden Hinterbeinen gleich viel Last aufnehmen kann.

Also muss man als Reiter das Pferd Schritt für Schritt an diese schlechtere Seite heranführen. Dabei darf man das Pferd nicht überfordern, es sollte immer seine Losgelassenheit behalten. Wenn es sich verspannt, erreicht man nichts. Im Training sollte man sich immer Gedanken machen, wenn das Pferd widersetzlich wird, häufig ist das sein Versuch uns zu mitzuteilen, dass es etwas nicht leisten kann. Also lieber in kleinen Schritten vorgehen und nicht zu viel auf Einmal verlangen.

Wobei Übungen wie: Achten Reiten, Kleeblatt, Schulterherein, Zirkel vergrößern und verkleinern usw., dem Pferd helfen auch die schlechtere Seite zu verbessern. Wir Westernreiter stellen eher die Schulter auf die Hinterhand ein, als umgekehrt. Manche Reiter bevorzugen es die Hinterhand zu verschieben, das kann hilfreich sein – kann aber auch zum Problem werden ,wenn die Pferde sehr flexibel in der Hinterhand werden und dadurch zu viel Last auf die Schulter bringen. Also lieber die Schulter des Pferdes verschieben, denn das Pferd muss Last auf der Hinterhand aufnehmen, damit die Schulter beweglich werden kann.

Mein Pferd ist sehr schief – woran kann das liegen?

Der erste Grund ist häufig ein schief sitzender Reiter, er macht es dem Pferd schwer auf einer Hand gut zu arbeiten. Viele Reiter wirken auch mit ihren Hilfen unterschiedlich stark ein, denn sie sind selber sehr einhändig und daher z.B. mit einer Hand sehr feinfühlig und mit der anderen eher grob.

Weitere Ursachen kann ein schlecht passender Sattel sein, ein schmerzendes Bit, ein fauler Zahn, ein krankes Bein, ein blindes Auge, ein blockierter Wirbel, ein schlechter Beschlag …. es gibt sehr viele Gründe. Wenn sich das Pferd auch bei guter Gymnastizierung nicht verbessern lässt oder sehr viel Widerstand leistet, sollte man gemeinsam mit dem Tierarzt und anderen Fachleuten wie Physiotherapeuten und Osteopathen nach der Ursache suchen.

Wenn die Muskulatur z.B. sehr ungleichmäßig ausgeprägt ist bieten manche Pad Hersteller Pads an, die man unterschiedlich polstern kann. Solche „schiefen“ Polster manifestieren aber die ungleichmäßige Muskulatur des Pferdes und helfen daher nicht.

Kann ein Pferd ganz gerade werden?

Ganz gerade, also ganz gleichmäßig auf beiden Händen werden die meisten Pferde nie. Es ist ein lebenslanger Prozess an der Gleichmäßigkeit und Durchlässigkeit auf beiden Händen – also am Geraderichten zu arbeiten.

Text: Petra Roth-Leckebusch

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