Es war ein gewöhnlicher grauer Wintersonntag. Der Tag begann in den frühen Morgenstunden, ohne auch nur den leisesten Anschein zu erwecken, dass heute irgendetwas besonderes geschehen könnte. Ich saß daheim im Schwabenland mit einem Becher Cappuccino in der Hand auf meinem guten weißen Sofa und blickte einsam und gedankenverloren in den Garten.
Dies sind die einleitenden Sätze aus Julia Behringers Buch „Barbecue mit Indianern“ (Bastei Lübbe Verlag) – die Geschichte einer erfolgreichen Finanzmanagerin der Stuttgarter Automobilindustrie, die in ihrem Leben vollkommen den Sinn und die Orientierung verloren hatte. Die Autorin erzählt ihre eigene Geschichte, so wie sie sich tatsächlich zugetragen hat, manche Abschnitte lesen sich wie ein Märchen. Am Ende findet sie nicht nur ihren Lebensweg, sondern auch noch den Prinzen, einen texanischen Cowboy, der eigentlich Diplomat ist, erhält die amerikanische Staatsbürgerschaft und bezeichnet sich heute selbst als absoluten Glückspilz. Aber war es tatsächlich Glück, dass ihr das Happy End bescherte, oder waren es gar andere, eher selbst geschaffene Faktoren? Barbecue mit Indianern gilt im deutschsprachigen Raum mittlerweile als Bestseller.
Die folgenden Zeilen der Einleitung beschreiben, wie Julia ganz zufällig auf ihrem weißen Sofa sitzend an diesem einschlägigen grauen Wintersonntag nach ihrer Lieblingszeitschrift greift und auf einer wahllos aufgeschlagenen Seite liest: „Wenn Sie die Orientierung in Ihrem Leben verloren haben, blicken Sie zurück in Ihre Kindheit, auf die Wünsche, Ziele und Träume, die Sie damals hatte. In Zeiten, in denen das Leben wie eine ausweglose Sackgasse erscheint, ist man gut beraten, bei seinen Kindheitsträumen mit dem Leben wieder anzusetzen“.
Diese Worte treffen Julia tief ins Mark. Die beruflich erfolgreiche, aber zweifelnde und mit dem Leben hadernde Finanzmanagerin erkennt innerhalb von Sekunden, dass der Artikel die Wahrheit sagt und dass sie seinen Rat befolgen muss. Sie versetzt sich zurück in ihre Kindheit und schwelgt in ihren damaligen Träumen von Cowboys und Indianern, von ihren Lieblingsserie Bonanza, all den schönen Wälzern von Winnetou und Old Shatterhand in ihrem Bücherregal, von Pferden und den Weiten der amerikanischen Prärie. Sie denkt zurück an ihr geschecktes Shetlandpony vom Bauern im Dorf mit dem sie einst stundenlang durch die Naturschutzgebiete des Schwabenlandes ritt, immer verkleidet als Cowgirl oder Indianerin.
Noch am selben Tag ist ihre Entscheidung gefällt. Sie wird ein langes Sabbatical in ihrer Firma einreichen von einem guten halben Jahr und aussteigen, abhauen, ausbrechen, durchstarten. Wo? Natürlich im Wilden Westen der Vereinigten Staaten, im rauen Herzen dieses mächtigen Kontinents, in der unberührten Wildnis von Montana.
Ihr erster Reiseabschnitt sind die Rocky Mountains im Norden Montanas, nur wenige hundert Kilometer unterhalb der kanadischen Grenze. Der Ort „Benchmark“ fernab der Zivilisation am Fuße dieser mächtigen Gebirgskette ist der Startpunkt einer großen Expedition zu Pferde, der sich Julia und ein paar amerikanische Abenteurer angeschlossen haben. Auf einen Reiter zu Pferde kommen vier Maultiere, die die Küchen- und Angelausrüstungen, Zelte, Schlafsäcke und vieles Mehr tragen müssen. Nur das Nötigste darf mit. Denn der lange Treck aus vierzig Tieren wird fast die ganze Rocky Mountain Gebirgskette überqueren auf schmalen Gebirgspfaden, durch reißende Flüsse und gefährliche Schneefelder. Die kleine Gruppe wird durch die Bob Marshall Wilderness reiten, ein riesiges Naturschutzgebiet von viertausend Quadratkilometern und auch durch das Gebiet der Scapegoat und der Great Bear Wilderness sowie durch den Lewis and Clark National Forest. Julia hat ihre Handtasche mit all dem Bargeld, den Kreditkarten, Schminke und auch Handy bei einer Bekannten abgegeben. Hier draußen braucht sie nichts als ihre warme Gebirgskleidung, den Polarschlafsack, ihren Kompass, das Bärenabwehrspray, eine Erste Hilfe Ausrüstung, ihren Sattel und ihren treuen Wallach Greenlegs, der ihr im Übrigen auf dieser wahnwitzigen Expedition noch ein paar Mal das Leben retten wird.
Der Leser ist kaum überrascht zu erfahren, dass schon nach wenigen Tagen hoch zu Ross in der unberührten Wildnis all die Last der vergangenen Jahre von Julia abfallen. Ihre Einsamkeit schwindet, denn hier im Gebirge trifft sie auf Gefährten und gleichgesonnene Seelenverwandte, die Pferde, die Maultiere, die Hunde und natürlich ihre abenteuerlichen Mitreiter. Auch ihre Mitreiter sind nicht einfach mal so in die Rockies aufgebrochen, nein, alle haben einen Grund hier zu sein, alle suchen nach Wandel in ihrem Leben, nach Orientierung. Die Tage werden zu Wochen und die Wochen zu Monaten. Es gibt kein Vorgestern und kein Übermorgen, es gibt nur das Hier und Jetzt am White River, die Pferde, die Zelte. Julia reitet über Baumwipfel hinweg durch Raum und Zeit, durch Schnee und Hitze, durch Flüsse und Täler, über den Wolken auf dem Rücken des Windes. Das Schwabenland ist wie ein Lichtjahr entfernt, nichts hat hier draußen mehr eine Bedeutung. Und dann geschieht das kaum zu hoffen gewagte. Die wunderbare Leere und wohlige Stille hat Raum geschaffen für Gedanken, Gedanken für die in der Großstadt und in der Hektik des Alltags nie Platz waren. Es formen sich Wege und Strukturen in Julias Geist während der langen Ritte – zwischen sechs und neun Stunden verbringt sie am Tag im Sattel. Es formen sich Wünsche und Ziele, mögliche Lebenswege, die gegangen werden können. Und das Abenteuer Leben beginnt für die schwäbische Geschäftsfrau, hier in den unberührten Weiten der Rocky Mountains.
Zurück am Außenstützpunkt „Benchmark“ nach Monaten im Sattel und der Abschied vom treuen Reittier Greenlegs zerreißen Julia fast das Herz. Aber sie muss weiterziehen, die lange Reise ist noch nicht vorbei. Sie hat sich auf einer Ranch mit zweitausend Rindern anheuern lassen, unten im Süden von Montana im Yellowstone Delta. Dort wird sie ein Handlanger sein, eine schlechtbezahlte Arbeitskraft, die im Dreck schuftet für Kost und Logis. Mit dem Greyhound Bus, umgeben von einer wilden Horde Black Feet Indianern fährt sie hinab in die wärmeren Zonen Montanas und der zweite Teil ihres großen Abenteuers beginnt.
Kaum auf der Lonely Horseshoe Ranch angekommen, fühlt sich Julia geradezu in ihre Kindheitsträume und die Bonanzaserie hineinkatapultiert. Ihre Arbeitskollegen sehen den Brüdern aus ihrer Lieblingsserie wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich und auch die Charaktere weisen schockierende Parallelen auf. Es dauert nicht lange und Julia verliebt sich Hals über Kopf in den jungen blonden Brandon alias Little Joe und eine wunderbare Liebesgeschichte beginnt. Zwischen dem Betreuen von riesigen Rinderherden, dem Ausheben von Gräben, dem Zäuneflicken, Lederzeug putzen und Pferde operieren findet Julia ihr lang verschollenes Glück. Sie tanzt den Two-Step in den lokalen Westernbars, nimmt Teil an Cattle Drives, bildet Jungpferde aus und auch sich selbst mit Unterstützung eines charismatischen Pferdeflüsterers. Und sie lernt Individuen des Stammes der Crow Indianer kennen und darf seltene Einblicke gewinnen in die archaische Kultur und das entbehrungsreiche Leben dieses abgeschiedenen Stammes. In den Prärien von Montana finden sich die letzten Puzzlestücke und Julia strickt sich ihren zukünftigen Lebensplan zusammen. Nun weiß sie endlich, wie es für sie weitergehen soll – sie will selbst Rancher werden, Rancher in Montana.
Nach unzähligen täglichen Abenteuern als Ranchmitarbeiter, die an dieser Stelle nicht alle schon erzählt werden sollen, muss Julia nach vielen Monaten in der rauen Wildnis von Montana wieder zurück an ihren tristen Arbeitsplatz im Schwabenland. Es ist eindeutig – nein, hier kann sie nicht wieder ansetzten und die schwarzen Nebelschwaden der Verzweiflung klopfen erneut an ihre Haustüre. Die kurze heiße Liebe mit dem viel jüngeren Brandon endet am Tage des Abflugs, Julia weiß, dass es für sie beide keine Zukunft geben kann.
Unter großem Heimweh nach Montana meldete sie sich in einem amerikanischen Club in Stuttgart an, um wenigstens ein bisschen amerikanischen Slang zu sprechen und sich ein wenig auszutauschen über Montana und all das Erlebte, denn ihr Freundeskreis zeigt wenig Verständnis für ihre Erfahrungen und Ideen. Nur wenige Clubveranstaltungen vergehen und nach einer Kunstführung in der Staatsgalerie steht auf einmal ein knuddeliger liebenswürdiger Amerikaner vor ihr, es ist Mike aus Texas. Auch er fühlt sich in Stuttgart vollkommen verloren und nimmt ab sofort jeden Samstag bei Julia und ihrem neuen Pflegepferd Reitunterricht. Schon bald ist aus Mike, dem Diplomaten, ein furchtloser Cowboy geworden und das junge Liebespaar reitet schon im kommenden Sommer mit Pferden und Maultieren gemeinsam durch den Yellowstone National Park. Es ist eine Bewährungsprobe für Mike. Der ehemalige Soldat ist Wind und Wetter erprobt und Schnee, Nässe und die Minusgrade der Wildnis machen im rein gar nichts aus. Er bringt jeden Morgen höchst vergnügt Hot Chocolat an Julias eingefrorenen Schlafsack und so langsam kommt der tapferen schwäbischen Geschäftsfrau die Einsicht, dass sie diesen Prachtskerl heiraten möchte. Dann dauert es nur noch ein weiteres Jahr und das wilde Wild-West-Paar gibt sich das Ja-Wort.
Einige Jahre sind nun schon ins Land gezogen und das abenteuerlustige Paar hat sie schweren Herzens im Schwabenland zugebracht. Denn das große Abenteuer im Wilden Westen muss ja finanziert werden und Land und Gehöft kaufen sich nicht von Luft und Liebe allein. Jedes Jahr sind Mike und Julia zurück gekehrt nach Montana für mindestens einen Monat und schon im ersten Jahr zog Julia ein kleines dreifarbig geschecktes Stutfohlen mit der Flasche auf. Das süße lebenshungrige Kerlchen hatte schon bei ihrer Geburt in den Pryor Mountains seine Mutter verloren. Julia brachte es zu einer Freundin mit großer Ranch im Crow Indianer Reservat, damit das Mädchen dort in Freiheit auf sechstausend Hektar als Wildpferd aufwachsen konnte. Und sie nannte das kleine Stutfohlen „Pretty Shield“ nach der letzten großen Medizinfrau der Crow Indianer. Heute ist Pretty Shield wunderbar eingeritten und ein furchtloser Partner unter Julias Sattel. Und sie wartet in den Weiten von Montana, zwischen Gebirgen, Elchen, Bären und Wölfen auf die schon bald anbrechende Zeit. Denn Julia und Mike packen so langsam ihre Koffer und das allergrößte Abenteuer kann beginnen – denn beide werden Rancher, Rancher in Montana.
Text & Bilder: Julia Behringer