Alles was Recht ist: Reitunfälle und deren Haftung

Die Rechtsprechung hat sich öfters mit Unfällen in Reitstunden und bei Ausritten zu befassen.

Der BGH hatte mit Urteil vom 06.07.1999, VI ZR 170/98, über eine – wenn nicht die – Standardkonstellation eines Unfalles während einer Reitstunde zu entscheiden. Sein Urteil lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der Pferdehalter haftet auch dann, wenn der Unfall nicht unmittelbar durch das tierische Verhalten, sondern dadurch herbeigeführt worden ist, dass der Reiter aufgrund einer durch das tierische Verhalten hervorgerufenen und anhaltenden Verunsicherung vom Pferd fällt.  

Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht ihrer Tochter, der verunfallten Reitschülerin, Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Unfalles, den diese im Reitunterricht bei der Reitlehrerin des beklagten Reitvereins erlitten hat. 

Die Tochter der Klägerin hatte ihre neunte oder zehnte Reitstunde. Sie nahm erstmals an einem Abteilungsreiten mit der Stute Biggy teil, nachdem sie zuvor an der Longe bzw. im Einzelunterricht den Wallach Loriot geritten hatte. Auch die Reitlehrerin war ihr bis dahin nicht bekannt. Gegen Ende der Reitstunde fiel die Tochter vom Pferd und zog sich dabei Verletzungen zu.  

Die Tochter bekam während der Reitstunde mit Biggy Schwierigkeiten, diese war plötzlich ausgebrochen, losgaloppiert und sodann in einer Hallenecke abrupt stehengeblieben. Die Geschädigte versuchte, das Pferd durch Schenkeldruck und Anziehen der Zügel unter Kontrolle zu bringen, was ihr nicht gelang. Durch das plötzliche Stehenbleiben aus dem Galopp heraus stürzte die Tochter auf den Boden der Reithalle und zog sich dabei eine Fraktur des fünften Lendenwirbels mit der konkreten Gefahr einer Querschnittlähmung zu. 

Der Unfall hat sich durch ein unberechenbares und selbständiges, der tierischen Natur des Pferdes entsprechendes Verhalten verwirklicht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass Biggy plötzlich aus eigenem Antrieb angaloppiert ist. Dadurch wurde die Tochter so stark verunsichert, dass es ihr nicht mehr gelang, sich auf dem Pferd zu halten, nachdem dieses bereits zum Stehen gekommen war. Die hierdurch bewirkte Verunsicherung hat über die Zeit der Fortbewegung des Pferdes hinaus angedauert. 

Ein Mitverschulden der Geschädigten war nicht gegeben. Auch nach dem gebotenen strengen Maßstab, hat die Geschädigte das Pferd sachgerecht zum Stehen gebracht. Dass sie in der Gefahrenlage in Angst geriet und diese zum Zeitpunkt des Unfalles noch andauerte, kann ihr als „krasser Anfängerin“ nicht vorgeworfen werden. Die Teilnahme am Unterricht trotz nicht optimaler Umstände gereicht ihr ebenfalls nicht zum Vorwurf, weil sie sich auf die zutreffende Einschätzung des Risikos durch die Reitlehrerin verlassen durfte. 

Zwar muss der Reitschüler den Reitlehrer über die Umstände aufklären, die dessen Entscheidung über die Teilnahme des Schülers am Reitunterricht beeinflussen können. Eines Hinweises an die Reitlehrerin bedurfte es hier dennoch nicht, denn die Reitlehrerin selbst hatte die Einschätzung, die Geschädigte habe sich am Unfalltag „nicht in bester körperlicher Verfassung befunden“. Auch durfte sich die Reiterin, deren „Indisponiertheit“ die Reitlehrerin tatsächlich erkannt hatte, darauf verlassen, dass diese das Risiko zutreffend einschätzen werde. 

Einem Reitschüler kann man nicht als Mitverschulden vorhalten, dass er trotz Ängstlichkeit am Reitunterricht teilgenommen habe.  

Das OLG Düsseldorf hatte mit Urteil vom 21.01.2000, 22 U 149/99, darüber zu entscheiden, wie der Fall liegt, wenn Kinder bei einem ungeführten Ausritt zu Schaden kommen. 

Der Beklagte war der Inhaber eines Reiterhofs. Am Morgen des 19. 4. 1998 erschien die Klägerin zusammen mit ihren Freundinnen auf dem Hof des Beklagten. Ihnen wurden Ponys übergeben, dann ritten sie gemeinsam – ohne Begleitung – aus. Die Klägerin benutzte hierbei keinen Sattel. Als es der Klägerin nicht gelang, das galoppierende Pony in das Schritttempo zurückzuführen, verlor sie den Halt, stürzte zu Boden und erlitt schwere Verletzungen.  

Da der Beklagte das Pony gewerbsmäßig zum Ausreiten vermietet hat, ist er Tierhalter im Sinne des § 833 BGB. Die Haftung des Beklagten ist auch nicht nach den Grundsätzen des Handelns auf eigene Gefahr ausgeschlossen.  

Welche Anforderungen an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu stellen sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zu den vorliegend relevanten Umständen zählen Alter und Ausbildungsgrad der Klägerin, Eigenschaften des Reittiers, Art und Umfang der Reitaktivität. Nach dem nunmehr unstreitigen Sachverhalt hatte die Klägerin etwa ein Jahr vor dem Unfall eine Woche auf dem Reiterhof des Beklagten zugebracht. Dass ihr hierbei eine Ausbildung zuteil wurde, ist nicht vorgetragen, so dass die Klägerin allenfalls geringe Erfahrungen im Umgang mit Ponys hatte. Zudem war die Klägerin erst 13 Jahre alt. Unter diesen Umständen durfte der Beklagte den Ausritt ohne eine reiterfahrene Begleitperson nicht zulassen. Selbst wenn im angrenzenden Wald die besonderen Gefahren des Straßenverkehrs nicht vorhanden waren, ist auf öffentlichen Reit- und Wanderwegen gerade das Risiko eines Durchgehens weitaus höher als etwa innerhalb eines umzäunten Reitplatzes. Erst recht verbot es sich, der Klägerin den Ausritt ohne Sattel zu erlauben, was die Gefährlichkeit noch weiter erhöhte. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass das Pony nur eine Sitzhöhe von 125 cm hatte. Körpergröße und Gewicht der Klägerin (damals 152 cm, 36 kg) kompensieren weitgehend diesen Vorteil. Der Beklagte kann auch nicht mit Erfolg einwenden, die Tante der Klägerin habe gewusst, dass keine Begleitperson zur Verfügung stand. Auch bei einem ansonsten braven Pony mit durchschnittlichem Temperament sind derartige Selbständigkeiten nicht fernliegend, wenn ihm durch die Unerfahrenheit des Reiters die hierzu notwendige Freiheit gegeben wird. 

Das Mitverschulden der zurechnungsfähigen Klägerin ist allerdings mit einer Quote von l/3 zu bewerten. Bei der Abwägung ist erster Linie auf das Maß der beiderseitigen Verursachung zweitrangig auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens abzustellen. Da die Klägerin zum Unfallzeitpunkt erst 13 Jahre alt war, ist ihr Verursachungsbeitrag an altersgemäßen Maßstäben zu messen. Der Entschluss der Klägerin, ohne Sattel zu reiten, war für das Unfallereignis zu einem wesentlichen Teil mitbestimmend. Es gerade die Funktion eines Sattels, dem Reiter auf dem Rücken des Tieres sicheren Halt zu ermöglichen, ihn also von den Folgen eines Herunterfallens zu schützen. Erschwerend kam hinzu, dass die Klägerin mit dem Pony zunächst galoppiert ist; der Unfall nahm seinen Anfang in ihrem Unvermögen, das Tier von der schnellen Gangart in eine langsamere zu versetzen. Wäre sie – ihrem Ausbildungsgrad entsprechend – nur im Schritttempo geritten, hätte zu einem Gangartwechsel keine Veranlassung bestanden. Die Klägerin war in der Lage, diese Zusammenhänge zu erkennen. Das Mitverschulden ist allerdings zu messen an den jugendspezifischen Besonderheiten des Falles. Die Klägerin gehörte einer Gruppe gleichaltriger Mädchen an, die sich offenbar darin einig war, die Ponys ohne Sattel und im Galopp zu reiten. Es entspricht jugendtypischem Verhalten, dass sie in der Gruppe keine Vernunftserwägungen angestellt, sondern sich dem Verhalten der anderen angeschlossen hat. Das ist verschuldensmindernd zu berücksichtigen. Demgegenüber trifft den Beklagten ein erhebliches Verschulden. Da es sich um eine Gruppe von Kindern bzw. Jugendlichen handelte, konnte der Beklagte auch nicht auf eine besonnene, dem Ausbildungsstand angepasste Reitweise vertrauen, vielmehr war mit jugendlicher Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten zu rechnen. Demzufolge hätte er den unbegleiteten Ausritt unterbinden müssen. Statt dessen hat er es zugelassen, dass die Klägerin den ohnehin riskanten Ausritt sogar ohne Sattel antrat.  

Eine Rechtsschutzversicherung kann die nicht unerheblichen Prozessrisiken, die durch die Notwendigkeit von Gutachten ggf. verschärft werden, abfedern. Denn auch der Prozessgewinner kann auf beträchtlichen Kosten sitzen bleiben, wenn der Schuldner nicht liquide ist, zumal die außergerichtlichen Anwaltskosten des Angegriffenen in der Regel nie vom Angreifer zu erstatten sind. 

 

Text: Frank Richter, Rechtsanwalt, Dossenheim, www.richterrecht.com

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