Pferde sind ein großer Teil unseres Lebens – darum haben sie alle eine Chance verdient. So ist auch eine Blindheit nicht das Ende.
…so beschreibt es Rabea auf ihrer Facebook-Seite Artemis alazán – project blind.
Eine für uns, herzerwärmende Seite, auf der es um die Partnerschaft und um, im wahrsten Sinne des Wortes, blindes Vertrauen geht.
Wir wollten mehr darüber wissen und haben mit Rabea ein tolles Interview geführt.
Bitte stelle dich und deine Pferde kurz vor.
Ich bin Rabea, 24 Jahre alt, Diplom-Apothekerin und systemische Beraterin in Ausbildung zur Reittherapeutin. Zu mir gehören Alizee, eine 19-jährige Appaloosastute und ihre Tochter Moony, eine sechsjährige Appaloosastute.
Während Alizee nach einer langen Krankheitsphase mit der periodischen Augenentzündung, Glaukom und Linsenluxation komplett blind ist und ihr beide Augen entfernt wurden, ist Moony genetisch bedingt nachtblind.
War es Liebe auf den ersten Blick & war Alizee dein erstes eigenes Pferd?
Es war damals keine Liebe auf den ersten Blick, aber bereits vor sieben Jahren hat Alizee eine besondere innere Stärke gehabt, die mich magisch angezogen hat. Ich habe sie mit 17 gekauft und mit zum Studium genommen.
Sie war mein erstes eigenes Pferd und ist gleichzeitig meine größte Lebensaufgabe.
Eine fast blinde, tragende Stute kaufen – was hat dich dazu bewegt?
Damals war es eine Mischung zwischen Mitleid, Neugierde und Faszination. Obwohl ihre eitrigen Augen im ersten Moment abstoßend aussahen und sie in keinem optimalen Zustand war, hat sie mich so sehr gefesselt, dass ich schon drei Tage später den Vertrag unterschrieben habe.
Mit 17 war ich damals noch sehr naiv und habe die Herausforderung des teilweise fünfmaligen Medikamente gebens, die enormen Kosten und auch den Aufwand allein die Geburt und das Aufziehen eines Fohlens zu bewerkstelligen absolut unterschätzt. Aber man wächst mit seinen Aufgaben und so haben wir es erst als Zweierteam und nach Moonys Geburt als Trio meistern können.
Wie war die erste Zeit im neuen Stall für dein Pferd? Wie gewöhnt man ein blindes Pferd an eine neue Umgebung?
Das kann man sehr schwer in wenigen Worten beschreiben, da die Gewöhnung bei jedem Pferd von sehr vielen Faktoren abhängt. Dazu zählen Begleitpferde, die Haltungsform, die Herdenstruktur, das Geschlecht, das Alter, Begleiterkrankungen und vor allem: der Charakter.
Damals hatte Alizee enorme Probleme, war das rangniedrigste Pferd und hatte täglich neue Schrammen. Sie neigte zu einem Wechsel zwischen lethargischem und aggressivem Verhalten, wenn sie überfordert war und nahm die Hilfe nicht an. Während der Jahre hat sich das immer weiter entwickelt und mittlerweile ist sie im Prinzip ein normales Pferd, was nach einem kurzen Abgehen einer Weide oder eines neuen Offenstalls sofort allein zurechtkommt.
In den Jahren davor habe ich sie mit Düften, dem Abgehen der Zäune und viel Geduld unterstützt, damit sie sich ihre eigene Karte im Kopf erstellen konnte. Durch das steigende Selbstbewusstsein hat sie sich vom rangniedrigen Pferd zur Leitstute entwickelt.
Kannst du Alizee wie ein sehendes Pferd arbeiten?
Mittlerweile ist Alizee so an ihrem Handicap gewachsen, dass man nur noch in der leichten Kopfschiefhaltung die Blindheit erkennt. Sie braucht dadurch natürlich ein wesentlich höheres Maß an regelmäßigen Behandlungen durch einen Osteopathen oder Physiotherapeuten und sinnvoller Gymnastizierung, aber sie bleibt ein sehr lauffreudiges Pferd.
In den letzten Jahren waren wir gemeinsam auf mehreren Distanzritten, bei denen sie bis 80km gelaufen ist, einem Rinderkurs, mehreren Working-Equitation-Kursen, Halsring-Auftritten und Shootings in unbekannter Umgebung bei Fotografenworkshops. Auch heute noch liebt sie unsere langen Wanderungen und das Klettern im Wald und wir fahren weiter regelmäßig – sobald Corona es zulässt – zu Kursen.
Wie unterscheidet sich das Üben von Lektionen oder Tricks in der Freiarbeit, im Vergleich zu einem nicht blinden Pferd?
Im Wesentlichen ist es ab einem gewissen Ausbildungsstand des Pferdes und der Art des Trainings kein großer Unterschied. Anfangs liegt der Fokus natürlich auf Stimmkommandos und der Sensibilisierung der anderen Sinne, aber die Pferde sind mit genügend Geduld in der Anfangszeit später wahre Meister im Kompensieren eines fehlenden Sinnes.
Alizee kann bis zu achtzig verschiedene Kommandos zu ihrem Blinden-ABC zählen, worunter sich viele Pfeif-, Schnalz und vokale Töne befinden. Ich fokussiere mich bei ihr immer sehr darauf, dass sie versteht was und warum wir etwas Üben – allein weil sie durch alte Erkrankungen und einen sehr langen Körperbau Schwierigkeiten hat. Aber diese Probleme können ebenso bei jedem sehenden Pferd auftreten. Mir hat es immer sehr geholfen öfters die Augen beim Training zu schließen, um mich an ihre Welt anzupassen und den Fokus vor allem auf ein solides Körpergefühl Alizees statt auf spektakuläre Kommandos zu legen.
Nur wenn sich ein blindes Pferd selbst in Balance befindet und keine Probleme mit dem Gleichgewicht und der Orientierung hat, kann man die schwierigeren Lektionen meistern.
Die Tochter deiner Alizee – Moony – könnte es passieren, dass auch sie an der periodischen Augenentzündung erkrankt? Hast du Angst davor?
Ich lasse Moony regelmäßig an den Augen untersuchen, aber weder sie, noch eins der anderen Fohlen (Alizee war Zuchtstute) hat bisher Anzeichen einer Augenerkrankung gezeigt.
Da es sich aber bei erblich bedingten Erkrankungen meist erst nach 10 oder mehr Jahren zeigt, bleibe ich noch vorsichtig. Natürlich habe ich enorme Angst davor, aber da Moony ein ähnlich selbstbewusstes Pferd wie Alizee ist, bin ich sicher, auch mit zwei komplett blinden Pferden die Herausforderungen zu meistern.
Inwieweit hat dein blindes Pferd dich in deinem Umgang und der Arbeit mit Pferden beeinflusst?
Ob es die Blindheit oder andere Faktoren waren, weiß ich nicht. Da Alizee damals nicht unbedingt positiv auf die Arbeit mit dem Menschen reagiert hat, war die größte Hürde ein blindes Pferd mit Schmerzen, was gern durchgeht, biss, trat und bei der Behandlung der Augen unkooperativ war. Durch Alizee habe ich erst vollständig gelernt, erst zu geben und viel später etwas zu bekommen. So schwer der Anfang aber auch war, so hat sie mich nie im Stich gelassen und ist heute das großartigste Pferd das ich kenne.
Ich liebe ihren starken Charakter, der sie einfach so einzigartig macht. Trotz des Handicaps ist sie eine unglaublich sture Stute, die nur mitarbeitet, wenn sie respektiert wird und sich niemals zu etwas Zwingen lässt. Deswegen bleibt es noch immer das größte Geschenk, wenn sie unsere Zeit ebenso genießt wie ich.
Was kannst du Pferdebesitzern raten, deren Pferde auch an einer periodischen Augenentzündung erkrankt sind?
Der wohl wichtigste Punkt ist die rechtzeitige Behandlung! Es gibt nur zwei Augen und wenn man aus falschen Gründen zu spät den Tierarzt ruft, bedeutet es immer nur Leid für das Tier. Als Besitzer sollte man nicht an den Behandlungskosten sparen, sondern sich lieber fragen, ob man selbst mit einer starken und schmerzhaften Augenentzündung auf den Arztbesuch verzichten würde.
Ein weiterer Punkt ist die Vermeidung von Stress. Bevor ich mir bei einem Pferd nicht sicher bin, dass es mit fremden Umgebungen zurechtkommt und die Augen gerade schubunauffällig sind, würde ich immer davon abraten auf Kurse oder Veranstaltungen zu fahren.
Der Fokus sollte stattdessen auf der Sanierung des gesamten Immunsystems, der Etablierung von Stimmkommandos und der Hilfe bei der Orientierung liegen. Mir ist nie wichtig gewesen, ob meine Pferde tolle Tricks können oder ein besonderes Talent im Sport zeigen. Für mich ist nur wichtig, ob sie mit dem Handicap ein glückliches Leben führen können – egal wie es aussieht.
Ich würde niemandem empfehlen, mit 17 Jahren als Erstpferd ein krankes und blindes Pferd zu kaufen. Aber ob ich genau dieses eine Pferd in diesem Zustand wieder kaufen würde? Definitiv! Ohne Alizee würde mir ein Teil fehlen.
Fotos: Bianca Schwella, Rabea Müller